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EMO HANNOVER 2019: Teamarbeit mit Exoskelett und Mini-Werkzeugmaschine

Zu den interessanten Stammgästen der EMO Hannover zählen Wissenschaftler, die nicht nur neue Ideen suchen, son-dern auch mit ihrer Arbeit Aussteller zu neuen Ideen inspirieren. Zu diesen Besuchern zählt Prof. Jens P. Wulfsberg, der an der Universität der Bundeswehr Hamburg interdisziplinär technische Unterstützungssysteme für die Produktion entwickelt.

„Aha, es geht also um ,ergonomisches‘ Kriegsgerät“. „Spannend – der Bundeswehrsoldat wird Ironman“. So ähnlich lauteten die Kommentare von Freunden zu meinem Recherchethema „Universität der Bundeswehr in Hamburg entwickelt Exoskelette“. „Es handelt sich nicht um eine Entwicklung für das Militär“, erklärt mir wenige Tage später Prof. Wulfsberg, Leiter des Laboratoriums Fertigungstechnik (LaFT) an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. In einem interdisziplinären Team entstehen am LaFT unter dem Begriff smart Assist ergonomische Hilfsmittel für Menschen. Es sind laut einem Flyer des LaFT „technische Unterstützungssysteme, die die Menschen wirklich wollen“. Über 20 Ansätze für Exoskelette wurden bereits entwickelt – von der Sprunggelenksorthese bis hin zum Muskelhandschuh.

Exoskelette sollen bezahlbar, tragbar und leicht sein

„Wir helfen dem Menschen mit unseren exoskelettalen Systemen, gesundheitliche Schäden am Arbeitsplatz zu vermeiden“, erläutert der Sportwissenschaftler Andreas Argubi-Wollesen, leitender Biomechaniker am LaFT-Institut für Konstruktions- und Fertigungstechnik. „Unsere Systeme sollen den Menschen muskulär entlasten und ihn nicht zusätzlich durch ihr Gewicht belasten.“ Den Soziologen Dr. Athanasios Karafillidis interessiert nicht nur die Akzeptanz der späteren Exoskelett-Träger, er beteiligt sich auch an der Entwicklung von Konzepten und der Klas-sifizierung. „Uns ging es nicht darum, mit Hilfe eines Exoskeletts einen Supermenschen à la Ironman zu schaffen“, betont der stellvertretende Leiter der Arbeitsgruppe smart Assist. „Gefragt war dagegen ein bezahlbares, tragbares und leicht anlegbares Unterstützungssystem, das mit möglichst wenig Technik auskommt.“

Überkopfarbeiten erleichtern

„Wir starteten anfangs nicht mit dem Ziel Exoskelett, sondern erhielten die Aufgabe, unterstützende Komponenten zu entwickeln“, blickt LaFT-Leiter Wulfsberg zurück. „Die erste Anfrage kam vom Airbus-Werk in Hamburg, das seine Arbeiter bei Überkopfarbeiten entlasten wollte.“ Erste Funktionsmuster wurden dort bereits 2016 getestet. Gedacht wird dabei vor allem an Prävention, also Verringerung des Krankenstandes durch Vermeidung von Überlastungen. Schwierig war anfangs die Umsetzung, da Wissen über die Möglichkeiten fehlte. Die ersten Schritte ging das Team interdisziplinär und pragmatisch: Es entwickelte erste Komponenten, die es dann direkt vor Ort testete. Um Entwicklungszeiten und -kosten zu senken, arbeiten die hanseatischen Forscher außerdem nach dem Lego-Prinzip: Die Komponenten sollen sich modulartig zu individuellen Systemen zusammenstecken lassen.

Im Keller der Universität, der Spielwiese der interdisziplinären Forscher, führt Argubi-Wollesen eine Weste vor: „Wir denken an den Einsatz intelligenter Kleidung mit einzelnen Unterstützungselementen, die sich dank Pneumatik bei Unterdruck versteifen. Sie nehmen dem Träger der Weste in bestimmten Positionen Haltearbeit ab.“ Infrage kommen als Antriebe zum Beispiel Pneumatik, Elektromotoren oder Gedächtnislegierungen, die sich bei Anlegen von elektrischer Spannung verformen.

Akzeptanz spielt eine wichtige Rolle

Wichtig ist bei alldem die Akzeptanz. So gibt es Menschen, die Systeme als cooles Hightech-Gimmick begrüßen, während es andere als Krücke ablehnen, weil sie damit angeblich schwach aussehen. Derartige Reaktionen spielen vor allem bei auffälligen Systemen wie Lucy eine Rolle. Argubi-Wollesen hilft mir in das rucksackförmige Exoskelett. Ich hebe die Arme, es zischt – Lucy greift mir pneumatisch unterstützend „unter die Arme“. Ich fühle mich plötzlich stärker und kräftiger und könnte länger etwas Schweres über Kopf halten. Ich lasse die Arme sinken, die pneumatische Hilfe fällt wieder weg. „Lucy ist ein typisch aktiv arbeitendes System, das aber nur für den Einsatzfall aktiviert wird“, erklärt der Biomechaniker. „Wir können es individuell so einstellen, dass es nur in bestimmten Positionen mit einer individuell einstellbaren Kraft aktiv wird. Wenn Sie zum Smartphone oder einem Werkzeug greifen, schaltet es sich aus.“ Denn eine vollständige Entlastung und damit eine Schwächung der Muskulatur ist nicht Sinn der Unterstützungssysteme.

RFID-Sensor erkennt das Werkzeug

Um praxisgerechte Systeme zu entwickeln, nehmen die Forscher typische Arbeitsläufe mit Hilfe von Sensoren und so genannten 3D-Motion-Caption-Systemen unter die Lupe. „Wir erfahren auf diese Weise, wie bestimmte Bewegungen die Muskulatur belasten“, erläutert Argubi-Wollesen. „Danach testen wir mit dem Exoskelett, wie stark es den Träger unterstützt. So zeigen Laborversuche mit Kraftunterstützung im Mittel 20 bis 30 Prozent muskuläre Entlastung. In Praxis-Messungen bei Automobilherstellern wie Ford konnten bei hohen Werkzeuggewichten schon individuelle Entlastungen von bis zu 50 Prozent erreicht werden.“

Für bestimmte Anwendungen wie Bohren, Schleifen oder Fräsen kann das System bereits angepasst werden. Karafillidis: „In Zukunft werden intelligente Exoskelette den Grad der individuellen Beanspruchung über Sensorik vermutlich direkt erfassen können und entsprechend den Grad der Unterstützung anpassen.“ Die Methode werfe jedoch auch Fragen nach der Datenüberwachung auf: Was wollen und was dürfen wir erfassen? „Rechtlich und auch von uns als ethisch handelnder Forscher ist eine Überwachung der Mitarbeiter über diesen Weg nicht akzeptabel. Wie für alle modernen Technologien brauchen wir auch für diesen Bereich einen gesellschaftlichen Konsens, wie wir mit den technologischen Möglichkeiten verantwortungsvoll umgehen wollen“, so Karafillidis weiter.

Auch die Maschinen-Montage haben die Hamburger im Visier: Wulfsberg führt mich zu einem Montageplatz, an dem eine selbst entwickelte kleine Werkzeugmaschinen-Vorschubeinheit mit zwei Freiheitsgraden zusammengebaut wird, die zwei Piezoaktoren (Verfahrweg: 1,6 mm x 3,5 mm, Genauigkeit: 1 µm) antreiben. Gedacht ist das Antriebselement für den Bau von kleinen Werkzeugmaschinen für die so genannte Mikroproduktion, die Herstellung von sehr kleinen Bauteilen etwa der Medizintechnik oder Uhrenindustrie. Die Arbeit des Monteurs erleichtern bewegliche Elemente, die seine Arme abstützen. Es handelt sich um maßgeschneiderte Griffschalen, die das LaFT per 3D-Druck herstellt. Zur Überwachung der Montageabläufe setzen die Hamburger einen Roboter ein, mit dessen Sensorik sich die zurückgelegten Wege und Kräfte erfassen lassen. Wulfsberg: „Anhand der aufgezeichneten Bewegungsabläufe können wir so die Montage weiter verbessern.“ Eine Umsetzung in die Praxis am Beispiel der Medizintechnik ist bereits geplant.

Recherche auf der EMO Hannover 2019

Der Wissenschaftler ist sich sicher, dass Unterstützungssysteme mit Blick auf Arbeitsschutz und -sicherheit künftig mehr an Bedeutung gewinnen. Auf der EMO Hannover 2019 interessieren Wulfsberg aus dem Blickwinkel des Exoskelettforschers jedoch nicht nur Systeme für den Arbeitsschutz, sondern auch kleine Werkzeugmaschinen für die Mikroproduktion, weil das LaFT bereits zum Thema „Kleine Werkzeugmaschinen für kleine Werkstücke“ im DFG-Schwerpunktprogramm SPP1476 geforscht hat. Wulfsberg: „Ich will in Hannover mit den Herstellern auch über den Bau von kleinen, preiswerten Werkzeugmaschinen für die Mikroproduktion diskutieren. Interessant wäre für mich daher ein Besuch zum Beispiel bei Herstellern von Mikro-Bearbeitungszentren.“ Der Besuch lohnt sich sicherlich, denn aktuell listet die EMO-Homepage allein 20 Hersteller zum Stichwort Mikrobearbeitungszentrum auf: Infrage kommen u.a. Chiron, Benzinger, Datron, Fehlmann, GF Machining, Hermle, Kern, Kummer, Schaublin Machines, Sodick Willemin-Macodel und Yasda.

Profil

Das Laboratorium Fertigungstechnik (LaFT) gehört zur Fakultät für Maschinenbau der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg. In enger Kooperation mit forschenden und industriellen Partnern entwickelt das WGP-Institut innovative Produkte und Methoden sowie neue Technologien auf den Gebieten der Mikroproduktion, Robotik und Automatisierung sowie Wertschöpfungssystematiken. In diesen Bereichen werden Projekte zur Grundlagenforschung und zur Entwicklung industrienaher Applikationen bearbeitet.

Autor: Nikolaus Fecht, Journalist aus Gelsenkirchen

 

Bild und Text: emo-hannover.de