24.07.2018
Digitalisierung fördert Tierwohl
Im digitalisierten Tierhaltungsbetrieb kennt der Landwirt den Gesundheitszustand jedes einzelnen Tieres und der gesamten Herde – Weltleitmesse EuroTier zeigt neueste Entwicklungen
Das Thema ist hoch emotional besetzt: Tierwohl. Bereits über die richtige Definition wird heftig diskutiert. Von den praktischen Maßnahmen ganz zu schweigen. Einigkeit besteht in einem Punkt: Tierwohl und Gesundheit der Nutztiere hängen unmittelbar zusammen. Tierwohl hat eine ethische Komponente, gefühlte Größen reichen aber nicht aus. Für die Gesundheit der Tiere bestehen klare Parameter. Der Erzeuger muss sie kennen, messen und bewerten. Und da kommt die Digitalisierung ins Spiel.
So ist die Ketose eine gefürchtete Störung des Stoffwechsels von Kühen kurz vor oder nach dem Abkalben. Eine klassische Methode zur Diagnose sind Urin-Teststäbchen. Deren Ergebnisse verlangen Interpretation, sie gelten als ungenau. Digital funktioniert der Test exakt und sekundenschnell. Ein einziger Tropfen Blut genügt und es ist klar, ob die Kuh ein Problem mit dem Energie-Stoffwechsel hat.
Einzelmessungen bilden nur einen Baustein. Es geht um mehr: „Digital Animal Farming“. Das gleichnamige Leitthema der EuroTier 2018 „verleiht der Tiergesundheit den gleichen Stellenwert wie den Aspekten Management und Transparenz“, erläutert Dr. Karl Schlösser, Projektleiter der weltweiten Leitmesse für Tierhaltungsprofis. Im digitalisierten Tierhaltungsbetrieb kenne der Landwirt „den Gesundheitszustand jedes einzelnen Tieres und der gesamten Herde“. Das diene dem Tierwohl, fördere den wirtschaftlichen Erfolg und trage zu vitalen ländlichen Räumen bei.
Zurück zur Ketose: Wenn die Tiere gesund sind, ist alles gut. Tritt die Störung vermehrt auf, müssen die Ursachen erkannt und abgestellt werden. Ist die Futterration an den tatsächlichen Energiebedarf angepasst? Bestehen Zweifel, kann der digitale Betrieb auf entsprechende Daten zugreifen und am besten gleich mal die Qualität der Rationsbestandteile online checken (lassen). Möglicherweise liegt es nicht am Futter, sondern etwas ganz anderem. Beispielsweise gehen Kühe mit Klauenproblemen seltener zum Futtertisch, weil ihnen das Laufen schwerfällt. Sie fressen in Folge zu wenig. Die Daten zur Klauenpflege zeigen, ob es eventuell einen Zusammenhang geben könnte, wiederum mit Blick auf das einzelne Tier und die gesamte Herde.
Vernetzen sich Betriebe untereinander oder wird sogar die gesamte Wertschöpfungskette verbunden, entsteht eine wertvolle Datenbank für Tiergesundheit und Tierwohl – von der Züchtung bis zum Supermarkt. Jedoch nur, wenn der Austausch der Daten auf Gegenseitigkeit basiert.
Mehr Tierwohl ist ein großes Versprechen. Der Redlichkeit halber muss gesagt werden: Kontrolle gehört dazu. Digitale Strukturen ermöglichen und vereinfachen diese. Die Kontrolle dient nicht nur dazu, Verstöße zu erkennen, sondern hilft Fehler in der Tierhaltung zu entdecken. Digitaler Datenabgleich bringt Einblicke, die ansonsten kaum möglich wären. Der Einzelhandel wird in dieser Hinsicht den Erzeugern künftig (noch) mehr abverlangen. Damit daraus kein überraschender Eingriff in die unternehmerische Autonomie wird, empfiehlt es sich dringend, dass die Landwirte frühzeitig klären, was sie leisten können und wollen.
Der fehlende Nutzen von gut gemeinten und optisch ansprechenden, aber wenig hilfreichen Maßnahmen für das Tierwohl kann mit digitalen Instrumenten, unter anderem Sensoren, leichter erkannt werden. Gut ist, wodurch dem Tier besser geht. Wenn es über die „Agrar-Community“ hinaus gelingt, klar zu machen, wie Digitalisierung und Tierwohl verbunden sind, hilft das dem hitzig debattierten Image der Tierhaltung. Den technologischen und allgegenwärtigen Begriff „Digitalisierung“ verbindet die Öffentlichkeit bislang nur bedingt mit der Forderung nach mehr Tierwohl. Die Herausforderung besteht darin zu vermitteln, dass digitale Betriebe mit rationalen Instrumenten eine Antwort auf die emotional geprägte Frage des Tierwohls geben.
Bild & Text: eurotier.com